Du und Ich

Ich war 18, als wir das erste Mal miteinander schliefen.
Du warst sanft, liebevoll, ich unbeholfen neugierig und zugleich ängstlich, etwas falsch zu machen. Wir sprachen wenig. Als du mich zum Bus brachtest, legtest du kurz vor dem Abschied deinen Arm um meine Schultern. Ich erinnere mich an den beschützenden Druck deiner Hand und den fast kalt anmutenden Stoff deines Hemdes unter der brennenden Sonne.
Ich denke gern an diesen Tag zurück.

Dich habe ich in einem Dorf getroffen. Am Meer. Ich mochte den kindlich offenen Blick, mit dem du mich ansahst. Den Stolz, mit dem du in der Nacht die Tür zu den Surfboards öffnetest. Ich mochte, wie der Schlüssel glitzernd wieder in deiner Tasche verschwand. So wie wir kurz darauf in den spritzenden Wellen des mondbeschienenen Meeres.
Und doch fühlte ich mich eingeengt von deiner Idee, mich beschützen zu müssen.
Ich wollte nicht beschützt werden. Ich wollte nicht verführt werden. Ich wollte einfach nur sein.
Neben dir, lachend, flüsternd, auf Morgen wartend.
Du ließt nicht los und meine Zugewandtheit verwandelte sich in Unverständnis.

Ich lief noch einmal durch die Straßen dieses Ortes. Du sahst mich schweigend an, während dein Freund hartnäckig wie Klebstoff seine Fäden an mich heftete.
Ich wurde wütend. Ich gab nach.
Ich ging.
Gefüllt mit vielen Fragen über mich selbst und über Männlichkeit.

Und Du…
der Höhepunkt meiner Selbstignoranz, der Höhepunkt an Verständnislosigkeit.
Es fällt mir schwer, dich in sanften Worten zu beschreiben, Schönheit zu finden in unserem Zusammensein. Und doch weiß ich, dass ich damals Schönheit sah und Sanftheit spüren wollte.
Du Idiot hättest einen Baum wachsen sehen können, in dessen Ästen du lernst, was Freiheit bedeutet. Aber du hast meinen Spross zerstampft.

Ich habe nichts vergessen.
Du hieltst mich fest. Du warst stärker als meine Wut. Als die Angst kam, belog ich meinen Körper. Und als ich ging, sammelt ich die Splitter meiner zerbrochenen Brillengläser ein.
Zumindest mein Versprechen an mich selbst, niemals zu dir zurückzukehren, habe ich gehalten.

Heute schaue ich mit Schwermut aus dem Fenster, beobachte ein Elsterpaar, dass sich zwischen kahlen Ästen das Gefieder putzt und merke, dass Selbstvorwürfe zu Fragen geworden sind.

Ich habe deine Mails gelöscht. Es tat mir weh, sie noch einmal zu lesen.
Wem oder was auch immer du hinterhergelaufen bist, mich als Wesen hast du auf jeden Fall nie begriffen.

Nach dir kamen viele.

Linsensuppe, mit Nelken verwürzt und ein Berg kleiner Tomaten von einem Markt aus Neukölln.
Verschwitzte T-Shirts, die sich aneinanderpressen in einem Club, Rauchgeruch.
Ein Auto, was sich in Richtung Cape Coast bewegt, während Adele „Hello from the other side“ singt.
Und so viele Male, in denen ich nichts sagte, hoffend, dass ein stummes Zögern genug wäre.
Momente, in denen mein deutlich artikuliertes „Nein“ nicht gehört werden wollte.
Momente, in denen meine Bestürzung in Kälte überschwappte.

Ich schwamm einfach mit, auf der Suche nach Zuneigung. Ich hielt nicht inne.

Bis Du kamst und mir nach langer Zeit Sanftheit zurückbrachtest.
Bis Du neben mir einschliefst, deine Hand auf meinem Bauch, deine Wärme in meinem Rücken, ohne dass wir eins wurden.
Und als Du gingst, brach ich in kleine Scherben.
Ich klebte mich wieder zusammen und sah, dass sich die Risse mit der Erinnerung an deine Wärme füllten.

Azizam, als wir uns begegneten, wusstest du, wie du mich umarmen konntest. Auch Deine Wärme blieb.

Und Du, neben dem ich heute einschlafe.
Der mir sanft die Tränen von den Wangen streicht, wenn ich begreife, dass ich Narben mit mir trage und keine Andenken. Der mich toben lässt, wenn die Wut mich überkommt, wenn die „Neins“ in meinem Körper vibrieren und der Boden mir liebevoll Halt gibt, damit ich mich selbst wieder aufrichten kann.
Du, vor dessen Umarmung ich niemals werde flüchten müssen.
Deine Umarmung, vor der ich gar nicht flüchten will.
Die ich stattdessen sanft erwidere.
Ich liebe dich.

Ich liebe immer noch.

2 Gedanken zu „Du und Ich“

  1. Oh, danke. Danke, für deine Worte, dass du sie teilst. Es ist warm und bewegt in mir, nachdem ich sie gelesen habe.
    Ich wünsche dir so viel Wärme, dass sie all die Risse die jemals noch kommen sollen, wieder füllen kann.
    Und ich fühle mich in all den ungehörten Neins und den Gefühlen dazu so verbunden.
    Danke. ❤️

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