Ich denke daran, als was für eine Wand ich dich so oft empfunden habe. Was für ein umunstößlicher Betonklotz, nicht klobig, grob, stumpf, sondern klar, fest, entschieden. Ich denke, dass da Wut ist. So viel Energie, mit der ich in dich stoßen will, aber weiß, dass ich mir daran nur wieder und wieder die Zähne ausbeißen kann. Da ist Wut, weil ich angefangen habe mich selber zu brechen, zu schlucken, zu schweigen, weil ich schon wusste, dass du es nicht hören wollen würdest, nicht bereit warst dich zu öffnen, einfach nur zu lauschen, dich auf eine andere Perspektive einzulassen. Und bei jedem Wort zucke ich, weil ich weiß, dass es nicht ganz richtig ist. Du verteilst nur Ratschläge, weil du nicht weißt, wie du anders reagieren sollst, du lässt dich sehr wohl auf andere Perspektiven ein, machst es aber auf deine Art, zu deiner Zeit und willst dir von mir nichts überstülpen lassen. Natürlich liegt es auch an mir, die zu eindringlich redet, selbst versteift bin auf meine Ansichten, … Ich kann nicht wütend sein. Ich kann die Wut nicht in mir brennen lassen, weil sofort das Verständnis wie eine löschende Welle über die schwappt. Dann werde ich traurig. Dann weine ich um mich selbst, weil ich nicht wütend sein kann. Weil ich immer und immer alles und jeden verstehen kann oder es meine zu können. Weil ich mir immer alles selbst wohlwollend erklären kann und wie könnte ich dann noch böse sein? Und dennoch lasse ich alles mit mir machen.
Ich laufe eine Straße hinunter. In dem Moment, wo ich das denke, sehe ich einen E-Scooter vor mir auf dem Bürgersteig stehen. Eine Freundin von mir tritt jedes dieser Dinger um, das ihr unter die Augen kommt. Ich denke kurz, hier bietet sich die Gelegenheit meine Wut auszudrücken. Einfach gegentreten, mittig gegen die Lenkerstange, das Ding würde umkippen, es wäre kurz laut, nichts würde getroffen, keiner würde es sehen. Aber gleich sticht mich die Panik. Gleich kommt die würgende Angst hoch, die meinen Herzschlag verdoppelt, sobald ich eine Wanne sehe oder die Stimme eines Kontrolleurs höre. Ordnungshüter, die das Gewaltmonopol über mich haben. Zu viel Gewalt, dich sich zu einprägsam in meinen Geist graviert hat. Ich gehe vorbei. Der laute Knall wäre mir sowieso viel zu unangenehm gewesen. Solche Dinge dringen so ungefragt tief in meinen Körper ein. Ich sprinte nach Hause. Weinen kann ich mittlerweile. Der Boxsack steht seit einem halben Jahr unaufgehängt in meinem Zimmer. Ich traue mich in den meisten Momenten noch immer nicht wirklich zu fühlen, was ich fühle. Ich habe keinen Hunger, aber meine ganze Familie sitzt in der Küche und isst Pizza.
Danke für diese Worte! So oft möchte ich Wut verspüren und kann es nicht. So oft möchte ich Wut als eine Art Ventil nutzen und kann es nicht. So oft möchte ich Wut benutzen um meine Bedürfnisse und Grenzen hörbar zu machen und kann es nicht. Ich kann es nicht, weil ich probiere die anderen zu verstehen. Ich kann es nicht, weil ich ihre Handlungen so gut wie immer nachvollziehen kann. Das heißt natürlich nicht, dass ich immer weiß warum Menschen so handeln, wie sie handeln. Es heißt jedoch, dass ich in den meisten Fällen nachvollziehbare Gründe für ihr Handeln finde. Diese Gründe übersähen dann meine Wut mit Verständnis und ich bleibe leise. Ich lasse mich verletzen, weil ich das Verletzen verstehe. Vielleicht ist das auch eine Folge meiner Sozialisierung. Vielleicht wird das für immer so bleiben. Ich bin trotzdem froh, dass ich das über mich, meine Gefühle und mein Verhalten verstehen durfte. Danke für deine Worte. Sie haben mich mal wieder zum Nachdenken angeregt und vielleicht auch bei Anderen zu einem Prozess des Verstehens beitragen. Ich hoffe, dass wir öfter wütend sind (und dabei natürlich trotzdem die Grenzen Anderer respektieren und beachten)!
Genau das wollte ich ausdrücken. Vielleicht höre ich gerne feministischen Rap, weil er mir ein bisschen erlaubt Wut zu empfinden. Obwohl es eher Stärke ist. Mh, sollten wir mehr Heavy Metal hören?
Vielleicht :)) Ansonsten stelle ich mich ganz selten (es sollte vielleicht öfter passieren) auf die Straße und schreie einmal so laut ich kann. Das kostet voll viel Überwindung und ich habe es bisher nur zusammen mit mindestens einer anderen Person gemacht. Es fühlt sich aber sehr befreiend an. Auch dann, wenn ich einfach nur müde oder traurig bin und keinen Tropfen Wut verspüre.
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