Restorative Justice

-Ein Bachelorarbeitsprozess.

Der Mond scheint fast voll am Himmel
über dem Meer. Die Wellen rauschen
und ich bin gerade Kilometer von mir entfernt.

Wo bist du, Maya?
Ich vermisse mich. Da ist ein wesenskern von mir gerade einfach nicht.. mehr da.
Es gibt zwar immer wieder Momente,
da spür ich mich,
aber ein richtig essenzieller Teil von mir
Darf seit Monaten
Kaum noch atmen

Ich habe mich diesem system angepasst
Ich habe einfach mitgemacht
Ich studiere und ich finde es schrecklich,
dass ich das tue
und wie ich es tue

Es fühlt sich meines Erachtens, wie die größte Zeitverschwendung der Zeitgeschichte an, diese wissenschaftliche Arbeit, der ich mich derzeit mit all‘ meinen Wesensanteilen zwangsweise verpflichtet habe, zu widmen. (Vgl. Mein Tagebuch, S. 120-heute) Mein Gehirn fühlt sich angesichts der Herausforderung, der es sich gerade widmet, zutiefst geschreddert. (Vgl. Mein Forschungstagebuch, S.1-ende) Ich habe mein Sein auf meine Kognition reduziert und damit lebt es sich mehr recht als schlecht. (Vgl. NICHTS! schau mich einfach mal an)
Ich vermisse mich.
(Vgl. Ich vor diesem ganzen Scheiß, ich jetzt)

Ich denke, rede, träume von ihr, meiner Arbeit.
Ich hasse bis in die tiefste Zelle meines Seins das Bildungssystem, in dem ich studiere und das mich dazu zwingt, so zu arbeiten wie ich das gerade tue. Ich hasse was ich tue, ich hasse was ich schreibe, ich hasse die Ungerechtigkeiten des Systems, über das ich schreibe. Und ich hasse, wie das Schreiben und Forschen und recherchieren mich Stück für Stück – immer mehr desvisioniert, entkörpert, von mir entfernt und Lebenskraft aus mir heraussaugt.

Als ich mich dem Erstellen dieser Arbeit widmete, hatte ich große Visionen. (Vgl. Forschungstagebuch, S. 1) ich wollte die radikalität von restorative justice gegenüber dem gängigen justizsystem aufzeigen und dieses dabei kritisieren. Ich war überzeugt, von der Radikalität dieses Ansatzes. Er ist etwas, das mich in der Tiefe meiner Herzens berührt und zu Tränen führt, wenn ich der Wortlosigkeit, die ihn umgibt, Raum gebe. Der Versuch, ihn in wissenschaftliche Sprache zu verpacken, hat sich angefühlt, wie ein Stück meines Herzfleischs, in Plastikfolie, in den Tiefkühler zu stecken um es danach in der Mikrowelle aufzuwärmen um es dann den Geiern zum Fraas zu geben.

Ich. Bin. So. Wütend.
(Vgl. Forschungstagebuch, S. Jede Seite, seit ungefähr 2 Wochen)

So tief wie jetzt, habe ich den Academia rage noch nie gefühlt! Ich HASSE die Wissenschaft. Ich hasse die weißen männer, die all‘ diese schlauen bücher in schlauer sprache schrieben und sich regeln erfanden, die schlau klangen um arme studierende wie MICH einfach nur zu plagen in ihren abschlussarbeiten. Yes, I know, fucking differenziertheit wegens Fußnote: ich bin mir der Unvollständigkeit dieser Aussage und den Errungenschaften der Wissenschaft bewusst, dieser Text verwendet an dieser Stelle das rhetorische Mittel der Übertreibung um der Dramatik der im Moment erlebten Emotionen der Autor*in gerecht zu werden.

Academia Rage! Academia rage! Academia, academia rage! Duuuuu verstehst mich nicht. Duuuu verstehst mich nicht und du siehst mich nicht, mit meinen Gefüüüüüühlen.

Ich studiere und studiere und verliere dabei.. mich. Meine Träume. Meine Hoffnung. Meinen Aktivismus. Meine Werte. Meine Visionen.

5 Jahre Studium (ok ich hab mir auch echt genug Zeit genommen) sind bald rum. 5 Jahre lebenszeit. Und ich habe sooo viel wissen in mir gesammelt, das meiste vermutlich schon wieder vergessen und gleichzeitig ganz schön viel gelernt. Doch was lerne ich jetzt?
Ich lerne, nicht aufzugeben. Durch diese Krise durchzugehen. Herzstück aus Plastikfolie wickeln und mal toasten als Versuch. Ich lerne wie wichtig community für mich ist, wie wichtig community für die welt ist, wissenschaftliche worte die das beweisen. Kollektivorientierung steht hier als Prinzip gegenüber den Individualisierungstendenzen westlicher Gesellschaften. Weißes Wissen in weißen Worten die mein weißer Kopf reproduziert. Wissen, dass mich von meiner Seele trennt.

Dabei geht es doch eigentlich darum, Räume zu öffnen, in denen Seelen ihre Schmerzen zeigen dürfen und heilen. Fußnote: Heilung wird in diesem Kontext von dem Wort heilen oder heilwerden abgeleitet. Früchtel und Halibrand beschreiben Heilung als ein Phänomen, welches den Prozess eines „wieder ganz werdens“ oder zum Urzustand zurückfindens, nach Verletzung oder Leidzufügung beschreibt. Dies kann im besten Fall, muss aber nicht Ergebnis von Restorative Justice Prozessen sein.

Heilung. Ich wollte über Heilung schreiben. Und wie das System, in dem wir leben, sie im Kontext des Justizsystems, verhindert. Ich wollte Worte finden um auszudrücken, dass Heilung keine Strafe braucht. Und von alleine kommt, wenn Schmerz gesehen, Betroffenen geglaubt, Unterstützung geleistet wird und es Raum gibt, um anzuerkennen, was Unrecht war. Ich wollte Worte finden um zu beschreiben, wie wenig Sinn es macht, von Schuld zu sprechen und wieviel Sinn es macht stattdessen Verantwortung zu benennen. Ich wollte sagen, wie wichtig es ist, dass wir alle lernen, Verantwortung zu übernehmen, für Verhalten von uns, das zu Verletzungen in anderen führt.
Wie wenig Sinn es macht, ein solches Konzept, auf ein Justizsystem zu übertragen, das von Schuld spricht und in Strafe die Prävention von verletzendem Verhalten, eine Stärkung der Rechtstreue der Bevölkerung sowie Schutz der Gesellschaft vor Straftäter*innen sieht. (Vgl. Lecturio-Redaktion 2024, die relativen Strafzwecktheorien)

Ich habe geschrieben, gelesen, in Büchern markiert, geweint, gedacht, geschrieben und schrieben. Ich habe mich in Texten verfangen. Von Worten und Perspektiven weißer Wissenschaftlern einnehmen lassen, die das worüber ich schreiben wollten, anders auslegten, wie mein Herz das sah‘.

Ich habe Worte gefunden. Ganz viele Worte gefunden. (Derzeit genau 37 Seiten und 181680 Wörter) die irgendwas sagen, aber nicht wirklich das was ich will. Ich habe worte gefunden die schlau genug klingen, als dass ich sie abgeben kann, meine proffessorin sie vermutlich belächelt, den abschlusstitel den ich brauche mir geben und das thema das ich behandelt habe, in einer Oberflächlichkeit, die ich zutiefst verabscheue, greifen. Ich habe Worte gefunden und sie haben kaputt gemacht, was mein Herz zu dem Thema zu sagen hatte. Sie haben mein Herz in Plastikfolie gewickelt. Und meine Seele stumm gemacht. Und sie sind nicht radikal und ganzheitlich genug.

Ich wollte Worte für Wege zu Heilung finden und ich bin vor ihnen abgebogen in ein wissenschaftliches Schlachtfeld. Ich habe ein Gemetzel aus Worten in einem Dokument angefangen. Die Worte halten sich gerade so zusammen, an einem Strang. Ich hoffe es ist ein roter Faden. Bringen mehr Fragen als Antworten mit sich und verwirren dich vermutlich genauso wie sie mich verwirrt haben.

ich wollte noch mehr Worte finden, radikalere Worte finden, Worte finden, die über die indigenen Wurzeln sprechen. Worte, die die nicht-weißen Perspektiven, auf diesen nicht-weißen Ansatz widerspiegeln, der in westlichen Welten, nur bedingt umsetzbar ist und eigentlich eine gesellschaftliche Transformation fordert, will er angewandt werden. Aber ich habe keine gefunden, die mir genügen und dieses Konzept, mit seinen Wurzeln, in einer Gänze, abbilden.

Ich bin den Worten zu Gedanken gefolgt und ich habe mich reduziert, auf ein rein kognitives Wesen, das gerade min. 6h täglich vor einem Laptop sitzt und um sein Leben schreibt. Fußnote: auch hier wählte der*die Autor*in das Stilmittel der Übertreibung, um dem Ausdruck der emotionalen Anstrengung des Moments, Nachdruck zu verleihen.

Der*die Autor*in entwickelte punitative Tendenzen im Verlauf ihres Schreibprozesses. They begann, die Aggressionen, die they in sich selbst unterdrückte in nächtlichen Mosquitojagden auszuleben und auf harmlose Insekten zu übertragen. Jede Nacht wurden die Übeltäter gejagt und in dieser Jagd, lebte der*die Autor*in eigene punitative Tendenzen, die durch den individuellen Schreibprozess zutage traten, den Mücken gegenüber aus.

Jo, da bin ich. Kilometerweit laufe ich zu meiner Seele zurück und küsse sie. Halte mein inneres Kind, das gerade unterernährt irgendwo in einer Ecke liegt und bei jedem kleinsten Konflikt zu schreien beginnt. Küsse auch seine Stirn.
Der Mond scheint immernoch, inzwischen allerdings nichtmehr sichtbar, von meinem Bett aus. Ich liege hier und höre jetzt das Schreiben auf. Bald ist der Spuk vorbei, sage ich, bald ist der Spuk vorbei.

Was ich daraus lerne? Wähle niemals ein Thema, was dein Herz begeistert, für eine Form der Arbeit, die deine Seele schreddert, wenn es dir nicht liegt. (Vgl. ebd.)

Autor*in: MayaLu

Ich sehe mich als Brückenbauerin zwischen Welten. Mit Wortge(f)lüster auf Telegram und in diesem Raum hier, teile ich die Worte, die aufkommen, wenn ich auf das schaue, was mich umgibt und in mir ist. Worte und Tanz sind dabei das meist genutzte Ausdrucksmittel meiner Seele.

3 Gedanken zu „Restorative Justice“

  1. Hey Honey. danke für das sehr fundierte und poetische Essay! ich weiß jetzt schon, dass es mir helfen wird in einem Jahr wenn es für mich dran ist.

    Ich liebe die Quellenangaben, zeigen sie doch die fundierte und langfristige emotionswelt in der du dich grad befindest, dass es keine Momentsaufnahme und was Impulsives ist, sondern durchdacht und fühlt manchmal sind sie auch lustig, vor allem „ Mein Gehirn fühlt sich angesichts der Herausforderung, der es sich gerade widmet, zutiefst geschreddert. (Vgl. Mein Forschungstagebuch, S.1-ende“ musste ich schmunzeln. Größtenteils mag ich dich und deine Wünsche und Visionen für eine lebendige, bildungswarme und tiefGreifende Welt gerne zart in den Arm nehmen.

    Das mache ich mal jetzt und weiß du schaffst das!
    und auch die klarsichtfolie abzupulen danach und deinem herzen mit stethoskop leises pochen zu lauschen und zu trommeln und zu betrommeln und zu besingen bis es so laut wie eine Boom-Box ist.
    Küsse

    1. hey little witch,

      good to hear from you. und danke zu deinen worten zu meinigen. Das tut richtig guuuuuuut <3 fühle mich zart in den Arm genommen in ihnen und würde gerne mit dir herztrommeln danach.

      liebst, MayaLu <3

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